Medulla-Nebel (CTB 1, Abell 85)

Sh 2-170 & CTB 1
Sh 2-170 & CTB 1: Links: Kleiner Rosettennebel (Sh 2-170), rechts: Medulla Nebel (CTB 1); Technosky 60mm f/6, 0.8 Reducer (f=288mm), ASI 2600 MC Pro, Skywatcher EQ6R pro; 43h Belichtungszeit; © 2023 Jörg Studer

Geschichte

Im Jahr 1955 entdeckte der amerikanische Astronom George Ogden Abell bei einer Durchmusterung des «Palomar Observatory Sky Survey» (POSS) einen großen bogenförmigen Nebel mit geringer Oberflächenhelligkeit, den er zunächst für einen alten planetarischen Nebel hielt. Er führte ihn in seiner Veröffentlichung von 1955 als Nummer 72 auf. [331]

R. W. Wilson und J. G. Bolten vom Radio-Observatorium des California Institute of Technology untersuchten 1959 die galaktische Strahlung. Sie tasteten den Himmel bei einer Frequenz von 960 Mc/s mit einer Antenne von 0,8° Strahlbreite über einen Bereich von 300° galaktischer Länge ab und fanden 110 diskrete Radioquellen. Einige von ihnen konnten visuell nicht mit Objekten auf den POSS-Tafeln identifiziert werden, darunter die mit der Nummer 1 (CTB 1, CTB = Caltech Observation List B), welche einen Durchmesser von etwa 1° aufwies. [597]

Im Jahr 1965 veröffentlichte die amerikanische Astronomin Beverly T. Lynds ihren Katalog der hellen Nebel. Der Nebel ist dort als H-II-Region LBN 116.81+00.03 (LBN 576) aufgeführt. [270]

In Abells zweiter Veröffentlichung seiner Übersicht über alte planetarische Nebel im Jahr 1966 führte er den Nebel mit der Nummer 85 und einem Durchmesser von 2077 x 2077 Bogensekunden. Er beschrieb ihn als einen nicht symmetrischen Ring mit hellen Flecken oder Regionen. Er notierte auch: «Das Zentrum der ausgedehnten Radioquelle CTB-1 [...] liegt 0,4° östlich des Nebels; es könnte sich um einen Supernova-Überrest handeln.» [332]

Im Jahr 1968 wurde CTB 1 dann von A. Poveda und L. Woltjer als Supernova-Überrest bestätigt. [598]

Auf sehr lange belichteten Aufnahmen erscheint der Nebel als eine Gasblase, welcher einem Querschnitt durch ein menschliches Gehirn mit Rückenmarks-Verlängerung (Medulla oblongata) gleicht, weshalb CTB 1 unter Amateurastronomen auch den Spitznamen «Medulla-Nebel» erhielt.

CTB 1
CTB 1: Bild aus dem «Canadian Galactic Plane Survey» (CGPS). Das grüne Kreuz markiert das geometrische Zentrum des SNR. Die Kreise zeigen die Position des Pulsars PSR J0002+6216. Ein schwacher Emissionsschweif ist vom PSR zum SNR zu sehen, der zurück zum geometrischen Zentrum zeigt. Der Einschub ist ein VLA-Bild mit höherer Winkelauflösung. [599]

Physikalische Eigenschaften

CTB 1 ist der Überrest einer Supernova, dem Tod eines massereichen Sterns, dessen Kern nach Verbrauch des nuklearen Brennstoffs kollabiert. Der Radiopulsar PSR J0002+6216 wurde als Ergebnis derselben Supernova identifiziert. Er liegt an der Spitze eines eng kollimierten, etwa sieben Bogenminuten langen, kometenhaften Schweifs nicht-thermischer Radioemission, die als Bugstoßwelle des Pulsarwind-Nebels identifiziert wurde. Der Schweif des Nebels zeigt zurück in Richtung des geometrischen Zentrums des Supernova-Überrests CTB 1. In einer Entfernung von 2 kpc weist der Pulsar eine große Quergeschwindigkeit von 1100 km/s auf. Eine asymmetrische Supernova-Explosion könnte die Ursache für diese Geburtsgeschwindigkeit des Pulsars sein. Das Alter der Supernova wird auf 10'000 Jahre geschätzt. [599]

Daten von Simbad [145]
Bezeichnung CTB 1, Abell 85, LBN 576
RA (J2000.0) 23h 59m 13s
Dec (J2000.0) +62° 26' 12"
Größe 34' x 34'

Auffindkarte

Der Supernova-Überrest CTB 1 befindet sich im Sternbild Cassiopeia und ist zirkumpolar für Mitteleuropa. Die oben angegebenen J2000.0 Koordinaten liegen in der Mitte der Gasblase, welche auf Aufnahmen erst nach mehreren Stunden Integrationszeit langsam sichtbar wird. Etwa 2.5° nördlich befindet sich die H-II Region Sh 2-170. Die beste Beobachtungszeit ist Juli bis Januar, wenn das Sternbild nachts am höchsten steht.

Auffindkarte Medulla-Nebel (CTB 1, Abell 85)
Medulla-Nebel (CTB 1, Abell 85) im Sternbild Cassiopeia. Karte mithilfe von SkySafari 6 Pro und STScI Digitized Sky Survey erstellt. Grenzgrößen: Sternbildkarte ~6.5 mag, DSS2-Ausschnitte ~20 mag. [149, 160]

Visuelle Beobachtung

400 mm Öffnung: Im sternreichen Teil der Milchstraße ist die Position anhand der helleren Sterne gut verifizierbar. Weder ohne noch mit O-III Filter ist ein Nebel erkennbar. — 400 mm f/4.5 Taurus Dobsonian, Hasliberg, 16. 12. 2023, SQM 21.2, Bernd Nies

Weitere Objekte in der Nähe (±15°)

Quellenangaben